Tim Nickel war bereits in Operations Control Centern (OCC) bei verschiedenen Airlines tätig. Nach Stationen in Katar, Bahrain und Saudi-Arabien führte ihn sein Weg als Berater für OCC-Prozesse zurück nach Deutschland in die Lufthansa Group. Heute leitet er die Flight Operations Academy, an welcher Lufthansa Aviation Training (LAT) die Aus- und Weiterbildung von Personal in OCCs anbietet. Wir sprachen mit ihm über die Rolle der Flight Operations Officer, die Trainingsbesonderheiten bei LAT und die Auswirkungen der Corona-Krise.
Bereits seit mehreren Jahren bündelt LAT einen Teil der Aktivitäten unter dem Namen Flight Operations Academy. Sie verantworten diesen Bereich seit circa zwei Jahren. Erzählen Sie uns davon. Welche Trainings werden dort angeboten?
Nickel: In der Regel verbindet der Großteil der Branche Lufthansa Aviation Training mit dem Training von Flugpersonal. Das ist auch richtig; es ist schließlich das Kerngeschäft von LAT. Bei der Flight Operations Academy trainieren wir aber einen weiteren wichtigen, jedoch weniger prominenten Bereich innerhalb des Flugbetriebes. Wir schulen das Personal am Boden. Genau genommen die Personen, die in den so genannten Operations Control Centern (OCC) arbeiten und dort die Flugbetriebsfunktionen verantworten. Dazu zählen in erster Linie die Flight Operations Officer (FOO), jedoch auch andere dort tätige Personengruppen, wie zum Beispiel Crewplaner oder Maintenance Controller. Die Funktionsbezeichnungen und Aufgabenabgrenzungen innerhalb der OCCs können dabei von Airline zu Airline variieren. Ob allerdings nun „FOO“ oder auch der früher häufiger verwendete Begriff des „Flight Dispatchers“ oder „Operations Controllers“– diese Personen planen und koordinieren das gesamte Netzwerk vor und während der Flüge bis zur sicheren Ankunft am Zielflughafen.
Wie sieht diese Planung genau aus? Was zählt zu den Aufgaben eines Flight Operations Officers?
Nickel: Die FOO haben im Grunde ein ähnliches Verständnis von einem Flug wie Pilot:innen. Natürlich mit dem großen Unterschied, dass sie das Flugzeug nicht fliegen. Man kann sich die Atmosphäre in einem Operations Control Center analog zu der Einsatzleitstelle von Polizei oder Feuerwehr vorstellen. Die FOO bereiten den Flug für die Cockpit Crew vor. Dazu zählt beispielsweise die Routenplanung unter Berücksichtigung des Wetters und Besonderheiten an Flughäfen und auf dem gesamten Flugweg (NOTAMS), die Berechnung von Treibstoffmengen und vieles mehr. Die Cockpit Crew erhält auf dieser Basis das Briefing mit den Flugdaten. Das erfolgt heute im Regelfall digital. Die finale Entscheidung über z.B. die zu beladende Treibstoffmenge trifft die Pilot:in. Die Vorbereitung erfolgt aber bereits im OCC. Von dort aus werden die Flugdaten auch an die zentrale Verwaltung der jeweiligen nationalen Flugsicherungsstellen versendet.
Das heißt, das OCC ist primär im Vorfeld eines Fluges und weniger während des eigentlichen Umlaufs involviert?
Nickel: In erster Linie ist das korrekt. Es geht jedoch auch darum, während des Fluges auf etwaige Unregelmäßigkeiten im Betriebsablauf zu reagieren. Das könnte zum Beispiel eine Abweichung von Flugplänen oder Creweinsätzen sein. Ein ganz einfaches Beispiel: Nehmen wir an, eine Maschine kann außerplanmäßig aufgrund einer technischen Störung in Lissabon ihren Rückflug nach Frankfurt nicht antreten. Wird Technikpersonal benötigt? Wie lange dauern Überprüfung und Instandsetzung? Welchen Einfluss hat das auf den neuen Abflugzeitpunkt und auf Passagiere, die gegebenenfalls sogar umsteigen? Wird die Maschine zurück in FRA für weitere Umläufe benötigt? Passen die ursprünglich geplante Route & Wetter noch? Wie lange kann ich aufgrund der Dienst- und Ruhezeiten die Crew in Lissabon noch nutzen? Diese vermeintlich kleinen Abweichungen im Fluggeschehen können große Auswirkungen auf den Gesamtbetrieb haben. Umso wichtiger ist es, dass in den OCCs kurzfristig umgeplant und reagiert wird. Die Bedeutung, die den OCCs im Fluggeschehen zukommt, wird häufig unterschätzt. Dabei hat das Personal dort stets drei Dimensionen im Blick: An erster Stelle natürlich die Flugsicherheit, danach Passenger Convenience und Kosteneffizienz.
An wen richtet sich das Kursangebot der Flight Operations Academy? Können sich auch interessierte Einzelpersonen anmelden?
Nickel: Das Training von Einzelpersonen ist kein regulärer Bestandteil unseres Angebots. Interessierte Personen können uns jedoch kontaktieren. Wir eruieren in solchen Fällen Möglichkeiten, um sie außerplanmäßig in einen Kurs zu integrieren. In der Regel führen wir die Trainings jedoch im Auftrag von Airlines durch. Das heißt, wir schulen gezielt das Personal für deren OCCs. Unser Produktportfolio ist sehr differenziert. Wir haben darüber hinaus die Möglichkeit, gemeinsam mit den Kunden die jeweils geforderten Trainingsinhalte anzupassen. Der sicherlich am häufigsten von den Airlines gebuchte Kurs ist der FOO Basic Course, in dem wir eine initiale Berufsausbildung in circa 22 Wochen anbieten. Aber auch spezielle Weiterbildungsangebote und Recurrent Trainings, wie z.B. regelmäßige, dreitägige Kurse für erfahrene FOOs der gesamten Lufthansa Group oder speziell zugeschnittene, mehrwöchige Seminare, wie zuletzt bei Eurowings Discover, werden zunehmend durchgeführt.
Sie sprachen bereits die Anpassung der Trainingsinhalte an die individuellen Kundenbedürfnisse an. Ist das ein Alleinstellungsmerkmal von LAT? Gibt es noch weitere Faktoren, die das Training an der Flight Operations Academy auszeichnen?
Nickel: Richtig, unsere sogenannten „Customized Trainings“ sind eine Besonderheit. Aus meiner Sicht sind jedoch zwei weitere Aspekte von ganz wesentlicher Bedeutung für unsere Trainingsqualität. Wir legen großen Wert auf die differenzierte Fachexpertise unseres Trainingpersonals. Damit meine ich, dass wir beispielsweise bei einem viertägigen Recurrent Training nicht nur eine Trainingsleitung haben, die alle Fächer bzw. Kurse abdeckt. Wir haben die richtigen Trainer:innen für das richtige Fach. Den Wetter-Kurs leitet beispielsweise eine Meteorolog:in, das ETOPS Training erfolgt durch eine Kapitän:in, usw. Dieser Fokus auf die fachliche Expertise des Ausbildungspersonals ist im Wettbewerb immer noch keine Selbstverständlichkeit.
Und der zweite Aspekt?
Nickel: Kompetenzbasierte Trainings. Die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) hat kürzlich eine Empfehlung ausgesprochen, wonach Trainings zukünftig nicht mehr rein wissensbasiert, sondern kompetenzbasiert erfolgen sollen. Mit der FOA waren wir der erste Anbieter, der dies für OCC-Trainings umgesetzt hat. Kompetenzbasiertes Training beschreibt die Schnittmenge von „Knowledge“, „Skill“ und „Attitude“. Es ist also nicht das Ziel, Wissen theoretisch zu vermitteln und anhand von Multiple-Choice-Tests abzufragen. Es geht vielmehr darum, den Teilnehmenden die richtigen Kompetenzen beizubringen, um das Wissen in der Praxis in unterschiedlichen Situationen anwenden zu können.
Und in welcher Form finden diese Trainings statt? Haben sich hier durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie Veränderungen ergeben?
Nickel: Wie viele andere auch, haben wir während der Corona-Krise schnell nach neuen Möglichkeiten gesucht, um Präsenz-Trainings zu reduzieren. Das ist uns an der FOA besonders gut gelungen. Innerhalb kürzester Zeit konnten wir vollständig auf einen „Virtual Classroom“ wechseln. Und diesen haben wir im Verlauf des letzten Jahres mit unterschiedlichen didaktischen Mitteln weiter perfektioniert.
Hatte die Krise aus Ihrer Perspektive einen generellen Einfluss auf das Berufsbild des FOOs?
Nickel: Natürlich hat die Krise, wie gerade bereits angesprochen, die Digitalisierung des Trainings- und Berufsfeldes beschleunigt. Hier erwarte ich allerdings grundsätzlich eine stetige Veränderung in den nächsten Jahren. Mit neuen Möglichkeiten, wie beispielsweite Artificial Intelligence und Data Mining zur Berechnung von Vorhersagen, werden die Kompetenzen, um diese Daten zu verstehen und zu steuern, immer wichtiger. Darüber hinaus halte ich es für wichtig, das Training über die klassischen Silos hinaus weiter zu öffnen und damit das Verständnis des Personals für Randbereiche weiter zu stärken. Ich sehe auch in anderen Bereichen in Flight- und Ground Operations großen Bedarf an kompetenzbasiertem Training und bereichsübergreifendem Verständnis für das große Ganze. Hier arbeiten wir bei der FOA an unterschiedlichen Projekten, um diesen Ansatz in unsere Trainings zu integrieren. Erst kürzlich ging ein dreitägiger Kurs mit Mitarbeitenden von Crewplanung und Crewcontrol der Brussels Airlines zu Ende. Durch die Vielzahl von kompetenzbasierten Übungen war das ein Augenöffner für viele Beteiligten.
Herr Nickel, vielen Dank für das Gespräch.